Hannes Wader in Mülheim an der Ruhr

Saal der Stadthalle in Mühlheim

Den Liedermacher Hannes Wader wenn schon nicht in seiner direkten Heimat Bielefeld, aber auf jeden Fall näher daran als je zuvor live im Konzert zu sehen, bedeutete für mich eine ganz individuelle Premiere. Auch in Berlin, in den 60er Jahren („des vorigen Jahrhunderts“, O-Ton Wader) eine seiner Hauptwirkungsstätten, konnte ich ihn schon sehen, aber in Mülheim an der Ruhr war es dann doch noch einmal etwas ganz Besonderes. Ein musikalischer Reisebericht für alle, die dabei waren und jene, die ihn unbedingt noch einmal sehen sollten.

Lyrik, Musik, Liedermaching – Hannes Wader kurz vorgestellt

„Wir wussten wohl alle beide, wir würden
nur den einen Sommer zusammen sein,
wie teuer der Winter, und dass sich durch Kälte
die Körper und Seelen zusammenziehen.
Wir beide besaßen weder Stiefel noch Pelze
Und hätten auch sonst nicht gewusst, womit man
Draußen im Park auf vereisten Bänken
Die Gefühle füreinander warmhalten kann.“

Es gibt viele unterschiedliche Zeilen, die von Fan zu Fan bei den Liedern von Hannes Wader ihren festen Platz in der Erinnerung haben. Für viele ist es „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort…“, für andere „Bin auf meinem Weg…“, und für wieder noch welche sind es Passagen aus den umfangreichen Werken seiner Talking Blues-Schemen. Für mich ist es die Umschreibung eines Verhältnisses zweier junger Leute, die sich aus Scham oder auch Unbedarftheit noch nicht richtig lieben wollen/können, wodurch (nicht weshalb) der junge Mann seine Freundin im weiteren Verlaufe an einen Zuhälter verlieren wird.

Es gibt in meinen Augen kaum jemand, der, auch noch heute, den Menschen so detailliert in seinen Liedern dargestellt hat, mit all seinen Schwächen, Lastern und Eigenschaften, wie Hannes Wader. Der heute 72jährige begleitet nicht nur mich, sondern auch viele, die mit ihm älter geworden sind, schon seit geraumer Zeit durchs Leben. In Mülheim an der Ruhr haben wir eine Art musikalisches Klassentreffen gemacht, wieder einmal.

Das schöne Städtchen Mülheim an der Ruhr

Die Ruhr in der Industriestadt Mülheim © Thilo Götze

Am Freitag, den 28. März 2014, führte den fleißigen Reporter des Landesblogs NRW, sein Weg in das schöne Städtchen Mülheim an der Ruhr. Bei der Verleihung eines Atributs habe ich mich etwas schwergetan.

  • Arbeiterstädtchen?
  • Industriestädtchen?
  • Kolonie Duisburgs?

Das letzte vielleicht eher nicht, aber 2 Minuten nachdem der Zug Duisburg verlässt, ist man schon im Hauptbahnhof zu Mülheim. Beide Städte „hängen“ aneinander.

Die erste Assoziation mit M. a.d.R. ist aber soundso die Ruhr. Dieser beschauliche Fluss teilt die Stadt in zwei Hälften, der Weg vom Bahnhof zum Schauplatz des Konzerts führt durch die Innenstadt über den Fluss direkt zur Stadthalle, wo die Chose stieg. Unterwegs kommt man an allerlei Kunstwerken vorbei, die hier unbedingt Erwähnung finden müssen. Denn ich weiß nicht im Geringsten, was sie bezwecken!

Naja, jedenfalls fallen mir ansonsten noch viele Lederverarbeitungswerke, ein bisschen Siemens und eine große Software-Firma auf. Architektonisch können das Kunstmuseum und natürlich der alte Stadtwall absolut mithalten. Ich bereue nicht, eine Stunde eher hier angekommen zu sein, aber auch, nicht länger als nur 4 Stunden insgesamt hier zu verbringen.

Die Stadthalle von Mülheim an der Ruhr und ihre Gäste

Die Stadthalle in Mülheim an der Ruhr © Thilo Götze
Die Stadthalle in Mülheim an der Ruhr

Bei diesem musikalischen Klassentreffen dreht sich immer noch viel um die Zahl „1968“. Die sogenannten 68er aus der Zeit der Studentenrevolten sind inzwischen schon selbst 68 Jahre alt, plus/minus x. Hannes Wader ist inzwischen schon 72 Jahre alt, und 1968 noch nicht die große Nummer, die er später einmal wurde. Jedoch ist sein Name untrennbar mit der Bewegung der 68er und ihren Zielen verbunden.

Für den Landesblog NRW wurde Sitzplatz 5 in Reihe 5 reserviert, wovon man Hannes gut auf die Finger schauen kann, und auch nach hinten gute Sicht herrscht.  Der Journalist Thomas Becker schreibt in „Der Westen“, dass die gute alte Stadthalle eigentlich kaum mehr noch so gefüllt ist, wie es der 72jährige Veteran vorvergangenen Freitag geschafft hat. Ich habe grob überschlagen 1000 Leute gezählt. Dass Wader nach Jahrzehnten der Schulden (siehe hier, Interview mit der ZEIT, Seite 2) seine Geldsorgen irgendwann nicht mehr hatte, dürfte einerseits an der Treue seines Stammpublikums, auf der anderen Seite aber auch an seiner Faszination auf jüngeres und nachkommendes Publikum liegen.

Ein alter Bekannter kommt herein

Hannes Wader in der Stadthalle von Mülheim 2014 © Thilo Götze

Und da kommt mein Freund Wader um 20.07 Uhr auf die Bühne gelaufen. Frenetischer Applaus empfängt ihn, er spielt seinen Evergreen „Heute hier, morgen dort“ in seinem unverwechselbaren Fingerstyle. Auch wenn ich ihn jetzt mittlerweile in Berlin, Mainz, Potsdam und Breda (jaaa, Vollständigkeit muss sein) gesehen habe und seine persönlichen Ansprachen sich ähneln, kaufe ich ihm in jeder Stadt ab, dass er sich freut, mal wieder – in diesem Fall in Mülheim an der Ruhr – auftreten zu können.

Zum zweiten Lied wechselt Wader schon seine Gitarre, das ist seit einigen Jahren zu beobachten. Er hat eine 12saitige Westerngitarre und zwei normale Konzertgitarren. Nicht, dass er heute eine höhere Kaufkraft als früher hätte, nein. Ich vermute, er ist das andauernde Stimmen leid, weswegen er das gerade verwendete Instrument für die Dauer des nächsten Liedes einfach nach draußen gibt und von jemandem stimmen lässt.

So kommt aber auch automatisch mehr Abwechslung im Stil mit hinein. Das zweite Lied ist der gute „Charley“, zu dem Wader zu berichten weiß, dass er den „echten“ Charley jüngst einmal wiedergetroffen hat und dieser jetzt Maler sei, in Nizza. Man kann es schlechter treffen mit DER Vergangenheit.

Neue Lieder mit Botschaft und Witz

Wader schafft es, was in den Vorjahren und Voralben nicht immer der Fall war, in seinen neuen, vorgestellten Liedern, Witz und Originalität zu verpacken, und darüber hinaus aber auch nicht die Botschaft zu vergessen. Dazwischen mischen sich Klassiker wie „Im Januar“, „Schon so lang“ oder auch „Leben einzeln und frei“. Ich bin sehr beeindruckt und bedaure fast, dass die Pause so schnell gekommen ist.

Ein bisschen schwelge ich auch in Erinnerungen. An Hannes, als er (mit Lydie Auvrey und anderen) noch in einer Band spielte, oder an ihn und Reinhard Bärenz am Gitarrensynthesizer als Duo. Ohne etwas auszusetzen zu haben, manchmal wünsche ich mir die alten Zeiten zurück. Ich glaube, so eine Kooperation wie mit Konstantin Wecker um das Jahr 2010 herum könnte Hannes auch in den nächsten Jahren noch machen. In ihm steckt echt noch Potenzial.

Als der Abend gegen halb 11 zu Ende geht, weiß ich aber, warum sich das Kommen heute auf jeden Fall gelohnt hat. Wader spielt Roger Miller! Vom Publikum angestachelt, und wahrscheinlich (bzw. eher noch) von eigener Laune angetrieben, lässt der urdeutsche Liedermacher die 1950er Jahre wieder aufleben. Für 3 Minuten ist Hannes der „King of the Road“. Der Saal tobt! Das haben sie hier und von ihm noch nicht gesehen. Kennt ihr die Stelle mit dem Schnipsen am Ende? Haben alle mitgeschnippst. Nur Hannes, der hat sich quasi mit einem „Mute down“ langsam vom Mikrofon entfernt, hat weitergeschnippst und ist langsam gen Bühnenausgang entschwunden.

Ich sags euch, Leute: so gehen die wahren Meister ab – die eigene Aura noch auf der Bühne, man selbst gar nicht mehr da, doch das Publikum tut immer noch so als ob und kriegt sich gar nicht mehr ein. Hätte Hannes an diesem Abend Autogramme gegeben, und dazu noch für Geld, hätte er glatt seine Windmühle in Ostfriesland zurückgekauft 😉

Welche Jungen ziehen nach?

Da auch Hannes Wader nicht ewig wird weitermachen können, wenngleich ihm noch viele Jahre zu wünschen sind, bleibt die Frage nach dem Nachwuchs an Liedermachern. Was allerdings Quatsch ist, von der Fragestellung her. Das Modell hält sich heute nicht mehr bzw. den Lebenslauf gibt es nicht mehr. Die Schichten sind von unten nach oben undurchlässiger geworden, sodass sich jemand schon so sehr verbiegen müsste, um den Platz neben oder gar von Wader einnehmen zu können, dass er (oder sie?) ihm keinesfalls auch nur irgend gerecht werden könnte.

Spaß macht es jedoch trotzdem, sich mit seinen Liedern zu beschäftigen. Auch wenn dabei manchmal ein Finger abrutscht oder eine Harmonie nicht ganz den Ton trifft: man kann auch die alten Lieder neu so zusammenbauen, dass sie in neuer Form, aber trotzdem in klassischer Instrumentierung und Stilistik ewig weiterleben werden…bis, ja bis irgendwann einmal, eines schönen Tages Youtube von einem Imperium gekauft wird, das alle bisherigen Videos löscht und alle neuen verbieten wird. Bis dahin habe ich aber alle guten Sachen auf Kassette!

Bis zum nächsten Mal!

Webseite von Hannes Wader bei SCALA, mit allen noch anstehenden Konzertterminen 2014

Am 27. Februar 2016 war Hannes Wader erneut in der Stadthalle zu Mülheim an der Ruhr zu Gast!


2 Antworten zu “Hannes Wader in Mülheim an der Ruhr”

  1. Du hast das Attribut Mülheims richtig gefühlt, es ist eine ausgesprochene Kunststadt. Nicht nur die Kunst im öffenlichen Raum ist dir hierbei aufgefallen, sondern du hast auch ein Gespür dafür entwickelt, dass hier mehr geht als woanders.
    Was ist los in Mülheim ? Hier findest du alles rund um die Kunst im Mülheimer Kunstkompass: http://kunststadt-mh.de/events/app/

    Mit freundlichen Grüßen
    Redaktion KUNSTSTADT MÜLHEIM AN DER RUHR