Zum neuen Jahr verwöhne ich euch im Rahmen der Pendlergeschichten einmal mit einem Gast(land)beitrag aus Singapur. Eigentlich dachte ich gar nicht, dass sich dort die Gelegenheit dazu ergibt, da alles so gesittet, streng und akkurat abläuft. Keine Verspätungen, keine Unfälle und schon gar keine Notwendigkeit, den Bahn-Flirt wiederzufinden. Vielleicht war es ja meiner Aura geschuldet, dass „endlich“ mal etwas passierte.
Frag die Sendung mit dem Klaus – was ist eigentlich Singapur?
Wie – Singapur kennt ihr nicht? Macht nichts, erklär ich euch!
Zunächst gibt es gar nicht mal sooo viele Unterschiede zu einer deutschen Stadt, wie zum Beispiel Köln.
In Singapur gibt es nämlich genau wie in Köln
- gaaanz viele Kirchen,
- enorm viele Menschen (über 1 Million),
- enorm viele Menschen, von denen jeder an etwas anderes glaubt,
- sodass es dir auch passieren kann, im Bus der einzige Deutsche zu sein.
Außerdem gibt’s dort genau wie in der Domstadt ganz viele Brauhäuser. Wartet, nicht die, an die ihr jetzt denkt – sondern diese da:
Und außerdem, gibt es auch eine U-Bahn! Von der erzähl ich später.
Und nochmal ernsthaft: Singapur in vier Bildern beschrieben
Was Klaus kann, kann ich schon lange. Allerdings etwas (mit Betonung auf etwas) subtiler 😉
Wenn ihr mal dort seid, denkt an folgende vier Dinge, die ich im Folgenden bildhaft präsentiere:
- Besucht die Gegend um Marina Bay (gleichnamige MRT-Station) mit dem Milliarden-Bau des Marina Bay Sands Hotel und dem singapurischen Wahrzeichen des Merlion, halb Meerestier, halb Löwe!
2. Seid auf dem Bürgersteig nicht unaufmerksam und knallt beim Laufen gegen eine Litschi, die Stinkfrucht Durian oder gar eine Muskatnuss. Richtig gehört – Muskatnuss. Solche Dinge werden, wie hier in der Maulwurfstunnel-Einkaufsmeile Orchard Road (gleichnamige MRT-Station), in Singapur gern etwas oversized aufgebaut.
3. Bringt euch trotz Temperaturen von durchschnittlich 30 Grad (im Winter 27° C) eine Jacke oder einen Schal mit. Es sei denn, ihr habt vor, euch nur draußen aufzuhalten und weder Auto noch ÖPNV zu benutzen. Alles ist durchklimatisiert, und das nachts wie tags.
4. Wenn ihr um den 24. Dezember herum in Singapur seid (so wie ich), vergesst trotz der Luftfeuchte und hoher Temperaturen nicht, Weihnachten zu feiern. Was nicht passt, wird hier passend gemacht: Seifenschneekanone und Weihnachtsschmuck inbegriffen.
MRT (Mass Rapid Transit) ist die Ader des ÖPNV in Singapur
Was dem Kölner die KVB, dem Bonner die SWB, ist dem Singapurer der MRT. Dieses nachträgliche Weihnachtsgedicht soll die schlechte Bildqualität der meisten Aufnahmen entschuldigen, die dieses Mal leider auftrat. Wird wieder besser werden!
Der Mass Rapid Transit von Singapur besteht aus 5 Linien, die teils fahrerlos den Großteil des 6-Millionen-Einwohner-Staats verbinden. Man könnte sagen, dass bezüglich der Metro vieles besser ist als in den meisten anderen Städten der Welt, wobei Singapur auch in anderen Bereichen die Nase vorn hat. Warum aber auch im ÖPNV?
Gerechtere MRT-Ticket-Preise in Singapur
Im Preissystem des MRT Singapur zahlst du nur das, was du auch nur verfährst. Jeder Passagier muss eine Plastikkarte erwerben, die er mit einem Guthaben belegt („to top up“) und alle seine Fahrten abrechnet. Ein Kartenlesegerät vor/hinter jeder U-Bahnstation bzw. in Bussen dient zur Kontrolle.
Im VRS-System profitieren zum Beispiel Pendler von Bonn nach Köln mehr von ihrem Ticket als jemand, der nur von Sülz nach Mülheim muss, denn beide müssen z.B. für ihr Jobticket dasselbe zahlen.
Sichere Gleise und Strecken, kaum Unfälle
In Deutschland gibt es, die Wuppertaler Schwebebahn ist vielleicht die Ausnahme, kaum Sicherungsanlagen für in den Bahnhof einfahrende Züge. Wartende werden zuweilen von Bahnen erfasst, fallen auf die Gleise oder auch krabbeln Hunde unter die Straßenbahn.
In Singapur so nicht, hier trennen dicke Glasscheiben den Bahnsteig vom Gleis. Dies hat auch den Nebeneffekt, dass die, man ahnt es schon, Klimaanlage nicht innerhalb des Bahnhofgebäudes gegen die von draußen sonst hereinströmende Luft einen aussichtslosen Kampf bliese.
Es kann sich zudem kein Suizidgefährdeter vor den Zug werfen und auf Grund der Tatsache, dass der MRT die meiste Zeit auf Stelzen fährt, behindert er auch nicht den Straßenverkehr. Tote Gleise sind demzufolge Mangelware dort. 😉
Kein Drängeln, Sitzplätze für in der Mobilität Eingeschränkte
Innerhalb der Zugkabine verläuft eigentlich auch alles paletti. Es ist zwar voll, doch es wird nicht gedrängelt, dauernd sagt jemand beim Ein- und Aussteigen vorsichtshalber „Sorry“ und es gibt Unmengen von Sitzplätzen für Alte, Behinderte und Schwangere, auf denen auch wirklich jene sitzen („to give up your seat“). Undenkbar in überfüllter KVB.
Dass aber auch um Weihnachten herum alles so Friede, Freude, Reisgericht blieb, haben die Singapurer MIR zu verdanken. Nur Danke hat mir keiner gesagt.
Der Held des MRT auf der Fahrt von Chinatown nach Yishun
Wie ich also so mir nichts, dir nichts eines Abends von China Town nach Yishun fahren wollte, war die Nord-Süd-Linie mal wieder gerappelt voll. Ich hängte mich also in Ermangelung eines Sitzplatzes bzw. jüngerer männlicher Passagiere, denen ich einen freien Platz guten Gewissens hätte wegnehmen können, in die Halteschlaufe.
Auf Höhe der Haltestelle Ang Mio Koo lichtet sich der Menschenwald etwas, es steigt aber nun auch, in gemäßigtem Tempo, eine etwa 90jährige Oma ein. Nichts gegen das Alter – die Rentner in Singapur sind fit wie nichts, die machen uns allen noch was vor – aber der Weg durch die nun 3/4 volle Bahn hin zum reserved seat dauerte nun mal.
Sie hätte es auch rechtzeitig vor dem ruckartigen Anfahren geschafft, hätten nicht zwei junge Rotzlöffel die bunt gefärbten Sitze für die hilfebedürftigen Leute blockiert. Sie machten keine Anstalten, aufzustehen. Gibt’s leider auch im höflichen Asien. Aber gut, es kam, wie es wahrscheinlich nur 1x in 100.000 Fahrten kommen musste: die Bahn fuhr schluckaufartig an and the lady was just about to fall down hard!
Wie ein Baum, der schon fast senkrecht in der Luft ist, nachdem er vom Wind gefällt wurde. Sie machte gar keine Anstalten, den Aufprall auch nur irgendwie abzufangen. Entweder, weil
- sie darauf vertraute, dass die Leute so dicht standen, dass sie gar nicht fallen konnte, oder
- sie die Hoffnung auf ein Happy End schon vollständig begraben hatte.
Oder: auf jemanden wie mich hoffte, der sie im letzten Moment schnappte. Und so war es, geradewegs in meine Arme ist sie gefallen. Tadaaaaa! Jubel, Applaus, Beifallsstürme!
Ein stiller Held – aber einer muss ja einschreiten 😉
Ich stellte das Ömchen also wieder auf die Füße. Im nächsten Moment fiel sie dem jungen, gutaussehenden Mann, der sie vor dem Oberschenkelhalsbruch rettete, auch schon vor lauter Dankbarkeit um den Hals.
Nur eben nicht mir, sondern dem Typ, einer ihrer Landsmänner, der sie noch versucht hatte, am Finger der rechten Hand zu ziehen, damit sie nicht fiel. Letztendlich trug er damit höchstens 2% dazu bei, aber ich will nicht klagen. Nach so einem Fast-Sturz wäre jeder verwirrt, und in dem Alter ist eh vieles verzeihlich. 🙂
Am nächsten Tag helfe ich noch zwei Kindern im Bus, als sie beim Aussteigen auf Grund der sich schließenden Tür von ihrer Mutter getrennt zu werden drohen. Ich klemme mir dabei aber nur die Pfoten ein und fahre vor lauter Aufregung eine ganze Station zu weit und muss in einer Gluthitze zurücklatschen.
Vielleicht sollte ich auch mehr darauf vertrauen, dass die Singapurer ihre Probleme besser alleine in den Griff bekommen. Aber die Geschichte wollte ich euch natürlich nicht vorenthalten, und auch nicht die folgenden, für euch hoffentlich interessanten Querverweise.
Bis zum nächsten Mal,
euer Thilo
Mehr Infos zum MRT, ruckartigem Anfahren und Deutschen in Singapur
- Website der MRT in Singapur, mit Infos zu neuen Streckenabschnitten
- Buchtipp „Ein Jahr in Singapur“ im Herder Verlag, ein Expat lernt u.a. den MRT dort kennen
- Reisebericht zu Singapur auf Weltvermessen von 2014
- Fahrgaststurz in KVB letztes Jahr mit schlimmen Folgen (Artikel im Express vom 2.12.2015)
PS: Für Notfälle im MRT von Singapur hat mein Freund Tarik aus Köln-Dünnwald in jeden Waggon einen Feuerlöscher getan. Nur weiß ich nicht, ob er auf allen Glasboxen unbedingt mit seinem Namen hätte unterschreiben müssen 😉