Die Kölner Kältegänge – ein Porträt

Trolley für Obdachlosenhilfe

Abseits von privaten Projekten habe ich übers Jahr hinweg ein Thema zu mir herangezogen, mit dem ich vorher im Leben nie zu tun hatte. Alles dreht sich hier und heute über Obdachlosenhilfe in Köln. Was wird gemacht (mehr als man denken mag), wer macht mit (wen stellt ihr euch dahinter so vor?), welche Probleme gibt es (leider genug)? Viel Spaß beim Lesen und vielleicht/hoffentlich: beim Umdenken.

Inhaltsübersicht (zum Navigieren auf die Pfeile klicken):

  1. Erfolgsstory trifft Absturz – Millionenstadt Köln 
  2. Niemand muss in Deutschland obdachlos sein – oder? 
  3. Bestehende Hilfsangebote für Obdachlose in Köln 
  4. Obdachlosigkeit von Frauen 
  5. Die Kölner Kältegänge – Reportagen von Januar bis Dezember: 
  • Was nimmt man mit auf einen Kältegang? 
  • Zu wievielt sollte man gehen? 
  • Spendebereitschaft der Kölner 
  • Mögliche Routen 
  • Wer ist bedürftig – und wer nicht?? 
  • Nicht einfach ins „Schlafzimmer“ kommen – Knigge gegenüber Obdachlosen 
  • Welche Sachen helfen mehr, welche weniger? 
  • Persönliche Geschichten eins – Überfall, Familienschicksale 
  • Persönliche Geschichten zwei – seit 1981 auf der Straße 
  • Antrieb zur Selbstbeschäftigung 
  • Nicht jeder traut den Helfern 
  • Konny vom Bahnhof Köln-Ehrenfeld 
  • Todesfälle unter Obdachlosen – und Freundschaften 
  • Früher selbst obdachlos – jetzt Helfer 

Wo Erfolgsstorys und auch Schicksalsschläge münden – Millionenstadt Köln

In Köln als Großstadt vermischen sich nicht nur unterschiedlichste Ethnien, Sprachen und Weltanschauungen, es prallt auch extremer Besitz auf extremen Nichtbesitz. In der Millionenstadt gibt es unzählige Erfolgsstorys privaten und wirtschaftlichen Glücks, aber auch ein Meer von Schicksalsschlägen.

In Köln ist eigentlich immer irgendetwas kaputt, es wird gebaut, die Nachwirkungen der Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs zehren bis heute an Stadtbild und Funktionalität (PS: Dass Köln hässlich sei, zu behaupten ist okay, allerdings nur von Kölnern selber). Gut. Man kann sich hier natürlich dennoch wohlfühlen, und das nicht nur im Krümelmonster Kostüm an Karneval.

Niemand muss in Deutschland obdachlos sein – oder doch?

Was ich jedoch täglich, seit ich hierherzog, lese, höre und sehe, neben teils abstrusen Wohnungs- und WG–Geboten, sind jene Menschen, für die das System außer einer „Platte“ nichts mehr übrig zu haben scheint. Dies bezeichnet den Stück Asphalt, der ihnen auf lang oder kurz (je nachdem ob ein anderer kommt, um den Platz streitig zu machen) eigen ist, und auf dem sie sitzen.

Nicht alle sind obdachlos, schlafen auf der Straße (= „Platte machen“) oder da, wo es ihnen die Notunterkünfte in Köln gewähren. Manche haben eine Bleibe. Die Gründe, warum sie auf der Erde sitzen, betteln oder im Wind frieren, sind allerdings vielschichtig und mehr noch, sie ermöglichen es Ihnen selten, einen anderen Weg zu wählen.

Land- und auch stadtläufig gibt es die Meinung, dass in Deutschland niemand auf der Straße sitzen müsse, ein Recht auf Unterhalt habe und sogar auf Krankenkassenleistungen. Doch der Weg von ganz unten, nachdem man erst einmal aus dem letzten Netz gefallen ist, nach oben zum rettenden Strohhalm, der sich einem entgegenragt, ist steinig, wie wir noch feststellen werden.

Warum gibt es Obdachlosigkeit in Deutschland?
Screenshot von http://www.gutefrage.net/frage/wieso-gibt-es-obdachlose-in-deutschland#answer28308814

Einschub: ein schöner Beitrag zunächst dazu, überaschenderweise auf dem Portal Gutefrage.net, der aber in bestechender Logik zu Vorurteilen über Obdachlosigkeit Stellung nimmt (User soulbridge1): http://www.gutefrage.net/frage/wieso-gibt-es-obdachlose-in-deutschland#answer28308814 Es ist ein lesenswerter Einstieg in diese Problematik.

Bestehende Hilfsangebote für Obdachlose in Köln

Last eines Helfers bei einem Kältegang © Thilo Götze
Was bei einem Kältegang so mitkommt. Kosten insgesamt weniger als 5 Euro, wenn man es schlau anstellt.

Es gibt in Köln viele Stellen, an denen Bedürftige Hilfe erhalten. Problem ist oft, dass sie gar nicht davon wissen, insbesondere wenn sie neu in der Stadt sind. Es gibt (mobile) Suppenküchen, Tages- und Nachtschlafstätten, Frühstück für Obdachlose, Kleiderausgaben und Orte zum Duschen.

  • Beispielsweise wird jeden Werktag am Appellhofplatz um 21 Uhr kostenlos Essen gereicht.
  • Freitags steht Juttas Suppenmobil in der Nähe des Doms in einer Seitenstraße,
  • im Gulliver gibt es täglich gegen 13 Uhr Mittagessen.
  • Im SKM kann man gegen geringes Entgelt Sachen aus einer Kleiderausgabestelle bekommen.
  • 1x im Monat findet im Bürgerhaus Mütze in Köln-Mülheim ein Frühstück für Obdachlose statt.
Wo und Wie: bundesweites Verzeichnis von Hilfsangeboten für Obdachlose  (Anscheinend auf neue Domain umgezogen, Link nun ausgetauscht: unten auf „Ältere Posts“ klicken und dann zum jeweiligen Bundesland navigieren)

Wie gesagt, manche wissen es nicht, andere können aber auch gar nicht so weite Wege mehr zurücklegen. Die körperliche Unversehrtheit von Leib und Seele ist auf „Platte“ nicht gegeben: nicht nur Kälte und Hunger setzen Obdachlosen zu, sondern auch Kleindiebe, Schläger, Rechtsradikale und Vergewaltiger. Dazu noch gibt es auch unter den Betroffenen selbst Konflikte.

Obdachlose Frauen

Insbesondere Frauen haben auf der Straße einen schweren Stand, müssen sich noch geschickter als Männer zu helfen wissen. Zwar ist es wohl so, dass Frauen eher um Hilfe bei Verwandten und Freunden bitten als Männer, wenn Ihnen die Bleibe oder der Besitz allgemein zu entschwinden droht.

Doch wenn keine Hilfe kommt, werden auch sie obdachlos. Viele weibliche Obdachlose gesellen sich in eine Gruppe, um einen Beschützer zu haben, manche haben wie so viele einen Hund. Dieser ist zum Schutz da, und sei es nur zum Anschlagen.

Andere Frauen wiederum achten peinlich genau auf ihr Äußeres, versuchen nach außen hin, so normal wie möglich zu wirken, aus Furcht, dass jemand ihre Schwäche und Notlage ausnutzt. Wenn ihr euch also wundert, warum euch eine gut angezogene und geschminkte Frau um Kleingeld bittet – mir ist das vor 5 Jahren in Bremen passiert, und ich habe nur dumm geguckt! Passiert mir nie mehr. Hinterfragt die Situation, wenn ihr von einer auf den ersten Blick normal erscheinenden Frau in so einer Angelegenheit angesprochen werdet.

Die Kölner Kältegänge

Kölner Dom nach Aufstieg des FC in die Bundesliga © Thilo Götze

All dies wusste ich jetzt nicht schon zu Jahresbeginn. Im Laufe des Kalenderjahres 2014 habe ich mit vielen Leuten gesprochen, Helfern wie Betroffenen, und einen wahrlich heterogenen Ausschnitt der Bevölkerung kennengelernt.

Ich weiß eigentlich gar nicht mehr wirklich den Stein des Anstoßes, aktiv werden zu wollen, aber irgendwann habe ich mich in der Facebook-Gruppe Obdachlosenhilfe Köln wiedergefunden. Das war noch letztes Jahr im Dezember. In der Gruppe befinden sich 100e von Leuten, von denen aber im Grunde nur ein Viertel etwas aktiv für Obdachlose tun (bei manchen bekommt man es zugegebenermaßen allerdings nicht mit, da sie nicht alles online bringen, was sie tun).

In der Gruppe wurden ein paar Feste organisiert und Absprachen getroffen, die meiste Zeit passierte aber nichts. Nachdem die üblichen Weihnachtsaktionen vorüber waren, zu denen 1x im Jahr der Blick auf Bedürftige gerichtet wird (und danach 11 Monate nicht mehr), wurden jedoch die sogenannten „Kältegänge“ wieder auf den Plan gerufen. Anfangs jedoch nur von einem Mitglied allein – was sich aber bis heute ändern sollte.

Was ein Kältegang eigentlich ist, erfuhr ich dann live auf den Straßen Kölns – und noch vieles mehr. Im Folgenden: die Basics der Kältegänge sowie der Monat Januar im Rückblick.

Der Kältegang im Januar

Hundefutter für Tiere von Obdachlosen © Thilo Götze
Schokolade (vorn) sowie Hundefutter für die Tiere von Obdachlosen

Kältegänge finden meistens sonntags statt. Freitags wird in der Facebook-Gruppe meist schon geplant, wer mit wem wann wo und warum auch nicht. Eines Freitags fasste ich mir also ein Herz und vermeldete meine Bereitschaft, am Sonntag mitzugehen. Voller Übereifer wollte ich gleich so viel Proviant mitnehmen, wie die ganze Stadt zu verköstigen ausgereicht hätte. Aber die Organisatorin bremste mich etwas ab: dosiert, aber sinnvoll muss es sein.

(Einschub: Da ich nicht weiß, ob die handelnden Personen hier mit ihrem Namen auftauchen wollen, habe ich diese übrigens leicht abgeändert.) Ich bastele jedenfalls aus übergebliebenen Weihnachts-Süßigkeiten, Aufbackbrötchen und einer großen Tüte Hundefutter diese Kunstwerke, die ihr im oberen Bild seht. Sonntag 13 Uhr stehe ich damit dann bei Adriana, die das ganze organisierte, vor der Tür.

Was nimmt man mit auf einen Kältegang?

Trolley mit Thermoskannen für Obdachlosenhilfe Köln © Thilo Götze
Trolley mit Thermoskannen (Tee und Kaffee, 5 Liter), Zubehör

Ich mit einem Backpacker-Rucksack beschnallt, klingle ganz artig bei ihr. Sie ist total nett, lässt mich sogar kurz drinnen bei ihr warten, bis sie soweit ist. Nachdem sie ihrer Katze Tschüss gesagt hat, kommt sie mit einem Einkaufstrolley zurück. Nein, einkaufen müssen wir nicht noch, wir haben schon alles: In dem Trolley sind zwei Thermoskannen, 5 Liter Fassungsvermögen, beide randvoll mit Tee und Kaffee.

Dazu noch

  • Becher,
  • Würfelzucker,
  • Kaffeesahne,
  • kleine Rührer aus Holz,
  • Servietten,
  • Süßigkeiten.

Viele Bedürftige fragen nach letzterem, und lassen sich auch bis zu 5 Stück Zucker zum Kaffee geben, selbst zum bereits sehr süßen Instant-Krümeltee. Die Kohlehydrate sind wichtig, und für manche auch Ersatzstoff für fehlende, andere Genussmittel.

Wie User Soulbridge1 auf gutefrage.net schon sagte, ist der Teufelskreis Obdachlosigkeit-Alkoholismus-Obdachlosigkeit usw. kaum zu durchbrechen. Manche tranken schon vorher , machen dann weiter, andere haben nichts anderes, um z.B. eine kalte Nacht zu überstehen. Interessant dazu und nicht nur dazu ist auch der 30minütige Film zum Selbstversuch Obdachlosigkeit von Judith Rakers:

Nie mehr als drei Leute pro Gang

Adriana und ich gehen mit unserem Proviant nach draußen, wo schon Lucy wartet. Die Studentin ist die Dritte im Bunde heute. Alleine sollte niemand losziehen, das Tragen und Ziehen der Sachen wäre zu schwer, mehr als drei Leute sollten es aber auch nicht sein.

Warum das nicht? Jemand, der den Trupp der Kältegänger noch nicht kennt und eine Armada von Leuten auf sich zuströmen sieht, vermutet wahrscheinlich erst einmal einen Mob. Zumindest fasst er weniger gut Vertrauen als zu einer überschaubaren Gruppe.

Lucy hat in ihrer Tüte allerlei Gebäck der Kette Backwerk, die sie am Samstag kurz vor Feierabend in einer Filiale abgeholt hat. Speziell für uns macht Backwerk das nicht – man muss fix sein, weil auch noch andere Menschen Restware dort abholen. Und Lucy war auch fix. Herzhafte und süße Sachen stapeln sich in der Tüte.

Spendebereitschaft in Köln

Pleite sein (kein Guthaben auf dem Handy)
Aus Wenig viel machen

Nicht jede Institution ist so spendabel bzw. die Mitarbeiter dürfen oft auch keine Restbestände rausrücken. Vielerorts muss das, was nicht verkauft wird, als Abfall deklariert werden. Zu Kontrollzwecken, denn Mitarbeiter könnten Überschüssiges ja selbst unter der Hand verkaufen, und dem will der Kapitalismus Einhalt gebieten.

Später werden uns zweimal Passanten ansprechen und uns ihren Dank aussprechen. Einfach so. Eine lobt unsere Taten einschwinglich, die andere will uns unbedingt 5 Euro geben. Das erste finde ich beinahe besser. Aber auch das Geld wird genommen, wenngleich sich niemand von irgendetwas freikaufen kann…auch wir nicht.

Als wir später dann auf Tour sind, gibt es viele Leute, die besonders auf der Schildergasse, der belebtesten und schicksten Einkaufsstraße Kölns, verwundert schauen, was wir da machen. Bisher hat uns aber noch keiner dumm angemacht. Besser so 😉

Route

S-Bahnhof Köln-Mülheim © Thilo Götze
S-Bahnhof Köln-Mülheim

Aber gut, WAS machen wir eigentlich?

  • Je nach Wohnort derjenigen, die gerade gehen, starten wir in Mülheim, Ehrenfeld oder am Dom.
  • Wir gehen die Kölner Ringe (Rudolfplatz, Zülpicher Platz, Friesenplatz), den Neumarkt, die Hohenstaufer Allee und die Schildergasse ab.
  • Wir verteilen Tee und Kaffee in Pappbechern, bieten zu Essen an und die Mädels fragen meist, ob Kosmetik/Hygieneartikel gebraucht werden, nebst Mützen, Schals und Handwärmern.

Viele „Platten“ finden wir jedoch gar nicht, da sie an Stellen sind, die man nicht finden soll. Trotzdem sind wir schon beim ersten Gang, auf dem ich mitbin, mehr als 3 Stunden unterwegs. An sich decken wir ein großes Areal ab, aber um mehr Leute zu erreichen, müsste man die Innenstadt noch viel engmaschiger begehen.

Man kann beim Kältegang auch nur den Menschen etwas geben, die ihre Notlage offen zu Angesicht geben, die etwa auf der Erde sitzen oder betteln. Andere, die man unter der Woche trifft und sie auf eine bestimmte Zeit und Ort hinweist, an denen der Kältegang vorbeikommt, sind vielleicht sogar dann an Ort und Stelle da, bleiben aber unter der Menge an Leuten, beispielsweise vorm Dom, unerkannt.

Wer ist bedürftig – und wer nicht?

Bananen als Obst für Obdachlose besser als Äpfel
Bananen sind als Obst für Obdachlose besser als Äpfel

Sei’s drum, ich lerne auch so eine ganz neue Welt kennen. Adriana und Lucy machen vor, ich mach nach. Mittlerweile, heute, kann ich den ein oder anderen Bedürftigen allerdings schon etwas individueller ansprechen. Wichtig ist, dass man ganz normal bleibt, und den anderen erst mal siezt, auch wenn man in Köln ist.

Wir sollten nicht vergessen, dass die Menschen, die auf der Straße sitzen, früher einmal darauf liefen, und man sich einst noch auf Augenhöhe begegnete. Höfliche Umgangsformen und ein normaler Ton sind also nach wie vor obligatorisch. Adriana weist mich einmal auch etwas energischer an, eine Banane nicht auf die Erde zu legen, sondern in die Hand des Empfängers, auch wenn dieser auf der Erde sitzt.

Zu entscheiden, wer von ihnen übrigens bedürftig ist und wer nicht, ist der schmalste Grat, auf dem man wandelt in dieser „Branche“. Ich glaube, niemandem macht es gottgegeben Spaß, nichts zu tun zu haben oder gar auf andere angewiesen zu sein. Mag manch einer aus der Notlage eine bequeme Einkommensquelle gemacht haben – Wohnung und/oder Arbeit würde jedoch wohl ein jeder von ihnen vorziehen, wenn er bei Geburt gefragt würde.

Das gilt besonders für diejenigen, die von der sogenannten „Bettel-Mafia“ hingesetzt werden, um durch ihre sichtbaren Benachteiligungen wie körperlichen Gebrechen Herz und Brieftasche der Leute zu öffnen. Das beste, und so auch das einvernehmliche Credo der „wirklichen“ Bedürftigen aus dem Artikel, ist, diesen Leuten etwas zu essen zu geben. Der Mafioso kann ihnen das Geld abnehmen, aber den Magen auspumpen wird er ihnen nicht.

Nicht einfach so ins Schlafzimmer kommen – Kältegangknigge

Am meisten Erfahrung bei den Kältegängen hat von uns zu dem Zeitpunkt Adriana. Sie weiß zum Beispiel, dass man Schlafende besser nicht weckt, da diese den Tag zur Ruhe nutzen, da sie in der Nacht ob der niedrigeren Temperatur wachbleiben müssen.

Auch ungefragt zu jemandem gehen, der weiter hinten in einem Flur/Foyer döst, ist unhöflich. Man kommt ja auch nicht einfach so in dein Schlafzimmer und fragt, ob’s bei dir läuft. Lucy und ich machen uns aber ganz gut. Die 21jährige hat ein Faible für Hunde, und kennt auch keinerlei Berührungsängste mit den Beschützern von manch obdachlosen Herrchen oder Frauchen.

Auch das Hundefutter wird gern genommen. Als wir keines mehr haben, treffen wir an der Mauritiuskirche noch eine Frau mit einem Vierbeiner. Sie fragt, ob wir statt eines Käsebrots auch noch Salami haben. Statt ihrer selbst gibt sie das Brötchen ihrem Hund.

Dies ist charakteristisch für den Umgang vieler Obdachloser untereinander. Am Alten Ufer, auf dem Rückweg zum Dom, werden wir unser Zeug an fünf Leute, 1 Frau und 4 Männer, los. Drei bekommen noch ein Brötchen, Nr. 4 und 5 nicht mehr – allerdings teilt der erste seins mit Nr. 4 und ein anderer, der vorhin noch etwas zu Essen gefunden hatte, tritt seines an Nr. 5 ab. Schaut euch einfach dieses Video an, dann versteht ihr mehr:

Nach eines langen Tages Kältemarsch….

Wir haben genau so etwas auch vielerorts beobachten können. Nach eines langen Tages Kältegang verabschieden Adriana, Lucy und ich uns voneinander und fahren in unterschiedliche Richtungen mit der Bahn nach Hause. Adriana wird die Thermoskannen saubermachen, Lucy in Rekordzeit ihren Uni-Stoff nachholen, den sie der guten Sache wegen pausieren ließ.

Wenngleich es im Gesamtkontext nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein ist, was wir machen, lässt es einen doch viel nachdenken über unsere Konsumgesellschaft. Auch sozialpolitische Fragen kommen automatisch irgendwann auf. Ich will hier jedoch (noch) keine Wahlempfehlungen geben, sondern noch ein bisschen erzählen, was zwischen meinem ersten Kältegang und heute noch so alles passierte.

Kältegang im Februar – „Ey, ich will auch ’nen Kaffee!“

Teebeutel creative art © Thilo Götze
Hiervon gibt es genug…

„Ey, gebt mir auch ’nen Kaffee!“ In etwas höflicherer Form fragen uns das Leute schon einmal, zum Beispiel Straßenmusiker, weil sie denken, dass wir Kaffee zu verminderten Preisen verkaufen und genug davon haben (dem ist nicht so). Oder weil sie denken, wir schütten damit wie Almosen nur so um uns. Mit unseren Kannen sehen wir zwar ein wenig wie die Heilsarmee aus, ein Selbstbedienungsladen sind wir aber nicht.

Im Februar bin ich gerade mit Beatrice und Anabell unterwegs, als mich jemand so wie eben zitiert von hinten anspricht und einfordernd seine Hand aufhält. Normalerweise kommen wir zu den Leuten, und ich hätte kein Problem, wenn es mal andersrum wäre – allerdings nicht, wenn derjenige ein ganzes Bund von Schlüsseln in der Hand hat, darunter einen fürs Auto.

Einen Schluck Tee könne er haben, sage ich zu ihm. Tee wird weniger genommen, wenn wir beides dabei haben, und somit bliebe davon mehr übrig. Aber das lehnt der Schlüsselbesitzer ab. Sorry Mann, no way – total entnervt dreht der Typ ab. Auf meinem dritten Kältegang erlebe ich das zum ersten und auch einzigen Mal. Irgendwie grotesk.

Was ihr selber zum Kältegang mitnehmen könnt

Merkliste mit Tendenzen:

  • lieber Weiß- als Schwarzbrot (Zähne…)
  • lieber Käse als Wurst (es gibt mehr Vegetarier als Laktoseintolerante)
  • Margarine oder Butter? Vllt 50-50, wenn möglich…
  • lieber Bananen als Äpfel (Zähne…)
  • lieber Kaffee als Tee (Kaffee ist teurer zum Kaufen für o.f.W.ler)

Die Szene mit dem jungen Mann spielte am Wiener Platz, auf der rechtsrheinischen Seite in Köln-Mülheim. Da Beatrice, eine Krankenschwester, aus Bergisch Gladbach kommt, sind wir ihr ein bisschen entgegengefahren und starten den Kältegang rechtsrheinisch.

Anabell ist zum ersten Mal dabei. Sie kommt aus der Ukraine, lebt schon lange in Deutschland, hat zur Zeit leider keinen Job. Umso bemerkenswerter ist ihr Beitrag für unser Projekt. Sie und auch Ayshen, eine junge Türkin, kommen immer am letzten Sonntag des Monats mit. Aus dem simplen Grund, da sie dann wissen, wie viel Geld sie von sich für die Obdachlosenhilfe noch einsetzen können.

Insgesamt kommen die Helfer aus jeder Bevölkerungsschicht:

  • Adriana arbeitet im Bundeskartellamt,
  • Beatrice als Schwester,
  • mich gibt es,
  • dazu viele Studenten und Arbeitslose.

Ein ähnliches Verhältnis ergibt sich auch unter den Obdachlosen, wenngleich wir eigentlich kaum danach fragen. „Es kann auch Professoren treffen“ ist jedoch eine oft bemühte Floskel, die eher eine sozialpolitische Verschleierung ist. Meine Meinung.

Der Kältegang im März

Vorbereitungen für den Kältegang © Thilo Götze
Vorbereitungen für den Kältegang

Ich leite gleich über zum März, mit dem selben Thema und neuen Leuten. Die schon erwähnte Ayshen ist dieses Mal dabei, dazu wieder Adriana. Ayshen nimmt kein Blatt vor den Mund und fragt öfter als wir anderen bisher nach dem persönlichen Hintergrund von Betroffenen.

Überfälle, Familienschicksale – persönliche Geschichten

Gerd, Mitte 40, treffen wir fast jedes Mal an. Er sitzt zwischen Neumarkt und Appellhofplatz vor dem Eingang eines Geschäfts, das sonntags geschlossen ist. Diesmal erzählt er uns, wie er letzte Nacht überfallen wurde und auch zwei Messerstiche abbekam. Geld, Ausweis und seine dicke Jacke wurden ihm geraubt. Die Polizei wollte ihn als betrunkenen Spinner abtun – leider keine Seltenheit. So erzählt er uns die Geschichte stattdessen, und wir erfahren auch etwas mehr über ihn.

Von einem Tag auf den anderen hatte seine damalige Frau das Haustürschloss wechseln lassen und ihn von seiner Familie ausgesperrt. Gerd habe die Kinder geschlagen, hieß es. Auch ein neuer Mann wohnte bald im Haus. Gerd fand für 3 Tage noch bei Bekannten Unterschlupf, dann musste er auf die Straße. Sein Chef fand das raus und kündigte ihm.

Als wir ihn danach hinter uns gelassen haben, drehen wir uns noch einmal um. Jemand, der gerade Pizzen gekauft hat, schenkt ihm eine, die er über hat. Guter Mann.

Seit 1981 auf der Straße – woher ich es weiß…

Am Ebertplatz oft, und auch am Dom, sitzt Reiner. Viele kennen den Mann mit dem buschigen Vollbart dort, er ist bescheiden und nimmt eigentlich immer nur einen Kaffee – „nur, wenn ihr noch habt“.

Als ich ihn ein paar Mal beliefert hatte, kamen wir ein bisschen ins Gespräch. Gar nicht so detailliert wie mit Gerd vorher, aber diese Anekdote muss ich euch erzählen. Reiner bemerkte, als er mich halt zum wiederholten Mal den anderen helfen sah, dass ich ihn an jemanden erinnere, äußerlich.

„Sagen Sie, wissen Sie, an wen Sie mich erinnern, optisch?“

Jetzt war ich aber gespannt. Reiners Auflösung:

„An (Valéry) Giscard D’Estaing.“

Diejenigen, die den ehemaligen französischen Staatspräsidenten kennen, werden sich nun erstmal wundern. Hö, sieht der Thilo schon derart ALT aus??? (D’Estaing ist Jahrgang 1926…)

Wenn man ein bisschen darüber nachdenkt, kommt aber auf die logische Erklärung. Reiner dürfte spätestens mit Ende der Präsidentenschaft D’Estaings 1981 zum letzten Mal Fernsehen geschaut haben, danach trat D’Estaing zumindest in Deutschland nicht mehr so sehr medial in Erscheinung. Jedoch, für solche Eingebungen, wie sie jeder von uns hat, optische Vergleiche und so weiter, zieht Reiner Personen aus der Zeit seiner Medienrezeption heran.

Nun war der gute Giscard 1981 zwar auch schon stattliche 55 Jahre alt, aber früher wohl ein schneidiger Kerl, von daher: Danke sehr für diesen Vergleich! 😉

Die Suche nach Beschäftigung, jeden Tag

Mayersche Buchhandlung Köln Neumarkt
Mayersche Buchhandlung am Neumarkt

Am Neumarkt, in der Nähe der Mayerschen Buchhandlung, sitzt eine Frau mit rötlichem Haar in der Sonne und schart ein paar Bücher um sich. Wir kennen ihren Namen nicht, wissen aber genau, dass sie stets nur Obst nimmt, und nichts Süßes. Viele wie sie sagen uns geradeaus, dass sie zu Essen genug haben, oder es anderswo bekommen. Obst ist aber teurer, und da sagt die Dame am Neumarkt nicht Nein.

Die nette Dame verfolgt einen Plan, den sie sich für das ganze Jahr 2014 zurechtgelegt hat. Sie war früher Heilpraktikerin, und möchte später wieder in diesen Beruf einsteigen. Sie hat sich in das eine Buch notiert, welchen Text sie an welchem Tag lesen will/muss, und die Bücher dafür liegen schon bereit.

Vorauseilender Gehorsam

Wintersocken für Obdachlose © Thilo Götze
Wintersocken für Obdachlose

Bisher zweimal trafen wir schon das selbe Mutter-Sohn-Gespann, das aus Hamburg hierhergekommen ist. Ihnen fehlt es an allem, und sie sind froh über unsere Mützen, Socken und Kosmetikartikel. Viele Leute kommen aus den Niederlanden, Osteuropa, NRW zumindest. Aus Hamburg habe ich so viele Leute jedoch noch nicht angetroffen.

Obwohl ihre Notlage prekär ist und sie am Hungertuch nagen, versucht der Sohn uns zu suggerieren, dass er alles Nötige schon tut und getan hat, um bei den Behörden eine Wohnung zu beantragen. Er zeigt uns Prospekte von Häusern, wo er wahrscheinlich nie einziehen wird, so teuer sind diese Immobilien dort. Es scheint, als ob er rechtfertigen möchte, dass wir ihm etwas geben.

Es klingt alles so leicht und hoffnungsvoll, wenn andere über die schnellen Hilfsangebote der deutschen Behörden für Leute o.f.W. (ohne festen Wohnsitz) parlieren. Unerfüllbare Voraussetzungen träfe es eher. Der Junge redet das einfach nach, was man fast überall hört. Ob er und seine Mutter wieder Fuß gefasst haben – ich weiß es nicht.

Er ist ein begabter Zeichner, sehe ich, als ich ihm über die Schulter schaue. Er hat heute schon mehrere Zeichnungen vom Dom angefertigt, und von mehreren Kirchen. Überall dort, wo er und seine Mutter sitzen durften. Die Kölner Innenstadt ist dahingehend sehr tolerant. Aber andere Städte gehen schon resolut gegen Obdachlose vor. Immer in Sorge um das Stadtbild

Auch die Kältegänge im Mai heißen weiter Kältegänge

Auch im Juni, im Juli und im August. Wenngleich man Essen und Getränke darauf umstellen könnte. Einen Kühlwagen für Eiscreme haben wir jedoch nicht, und auch eine rollende Waschwanne beherbergt ein paar Probleme 😉

Hannes Wader setzt sich für Kalle ein (Screenshot von www.zwangsraeumung-verhindern.de)
Hannes Wader setzt sich für Kalle ein (Screenshot von www.zwangsraeumung-verhindern.de)

Aber Spaß beiseite. In den April/Mai fiel die Problematik um die Wohnungszwangsräumung von Kalle Gerigk, die hier im Blog auch behandelt wurde. Prominente wie Hannes Wader setzten sich für ihn ein, und die ganze Republik schaute auf den Kampf von Exekutive und Immobilienhaien gegen bodenständige Mieter und ihre Unterstützerschaft.

Von dem, was man hört, ist Kalle nicht obdachlos geworden. Er hat aber zumindest der Wohnungsproblematik ein Gesicht gegeben. Den Obdachlosen gibt kaum einer ein Gesicht, und einen Ansprechpartner für ihre Probleme haben sie meist auch nicht.

Nicht jeder will uns, nicht jeder traut uns

Als ich mit Lucy im Mai alleine unterwegs bin, haben wir einmal eine kleine „Pechsträhne“. Entweder wollen die Leute gar nichts oder nur Geld. Um nicht in Versuchung zu kommen, haben wir soundso immer nur drei Euro und die Monatskarte in der Tasche. Aber den Proviant will man ja schon loswerden.

Manchmal scheinen die Leute nicht zu verstehen, dass wir kostenlos Nahrung verteilen. Das, obwohl wir in Bestzeiten mit drei Leuten 8 Sprachen (!) abdecken.

Wieder andere trauen uns nicht über den Weg – was ich verstehen kann. Es gibt Typen, insbesondere einige Halbwüchsige, im Land, die Leute, in ihren Augen „Pennern“, einen ausgeben wollen, Drogen in das Getränk mischen und sich mit ihren hohlköpfigen Buddys beim Betrachten der unschönen Folgen einen wi***en. Zum Kotzen.

Glücklicherweise finden wir aber auch immer ein paar sogenannte „Mittler“, die uns trauen, und denen die Kritischen auch vertrauen. Wir geben den Mittlern genug mit, was sie an Kritische und Misstrauische weitergeben können, an unserer statt.

Der verrückte August

Ja, Vertrauen und ein wenigstens halbwegs guter Ruf sind schon wichtig. Mein ehemaliger Mitbewohner Teddy wollte schon lange einmal mitkommen. Er macht wesentlich besseren Kaffee als ich, und hat damit in puncto Image schon mal geholfen.

Zum ersten Mal als reine Männertruppe unterwegs, beginnen wir zum ersten Mal in Ehrenfeld. Zumindest 1 Frau dabei zu haben, wäre eigentlich ganz wichtig. Menschen vertrauen eher ihnen, und lassen sich auch leichter anquatschen. Aber vielleicht bin ich inzwischen auch ein bekanntes Gesicht.

In Ehrenfeld fiel mir unter der Woche ein Mann auf, der auf einer Decke auf der Erde saß, hinter sich drei Einkaufswagen, vor sich sogar eine Kerze und neben sich – peinlich genau 1 Zentimeter Abstand zum überdachten Asphalt des Bahnhofsgebäudes.

Das Ergebnis vom FC erfährt er immer

Es ist eine kalte, harte Szene, in der man sich o.f.W. bewegt. Wenn man seine Grenzen nicht klar absteckt, sich zu viel gefallen lässt, werden Schwächen brutal ausgenutzt. Ein Stück weit wird jeder zum Egoisten.

Den Status eines „Freundes“ erreicht man nur mühsam. Aber wenn unter den Ärmsten eine Freundschaft entstanden ist, wird sie auch so gehalten. Das ist zumindest mein Eindruck von dem Mann, den ich am darauffolgenden Samstag mit Teddy in Ehrenfeld besuchte. Nennen wir ihn mal Konny.

Die Kerzen standen immer noch da vor ihm, außerdem ein Trauergesteck. Konny freut sich über unseren Besuch. Er ist schon fast 55 Jahre alt, und seit über 12 Jahren auf der Straße. Die zweite Zahl ist kein Rekord, die erste aber sehr bemerkenswert. So traurig es klingt.

Fanschal des 1. FC Köln © Thilo Götze
Fanschal des 1. FC Köln

Immer, wenn der „Eff-Zeh“ Samstagabend ein Auswärtsspiel hat, erfährt Konny das Ergebnis, wenn die Fans in Ehrenfeld aussteigen. Vom Pegel der Geräusche erfährt er Sieg, Niederlage oder Remis, vom Grad der Zerstörung die Höhe der Niederlage, und vom Alkoholkonsum der Leute die Höhe des Sieges.

Kerzen in Andenken an den verstorbenen Freund

Warum er denn nicht unter dem Verschlag sitzt, sondern daneben? Ja, lacht er, weil ihm dort, wo er momentan sitzt, die Deutsche Bahn nichts kann. Er zeigt neben sich: „Hier haben sie mich vertrieben, wegen der Kerzen, aber hier“, er weist auf sich, „können sie mir nix!“

Konny wird uns noch zwei andere Male erzählen, dass sie einen Freund von ihm per Krankenwagen in die Notaufnahme geschafft haben am Vortag. Tablettenkonsum im Rausch und ähnliches sind die Gründe. Auf seine Freunde einzuwirken kann er nur versuchen. Viele sind krank, wissen sich nicht anders zu helfen. Konny erscheint mir auf eine sonderbare Weise diszipliniert. Früher war er einmal Soldat.

Es ist nicht so, dass Obdachlose nicht über Geld verfügen. Einen Vorrat legt sich jeder an, an verschiedenen Stellen, sodass bei einem Diebstahl nicht sofort alles weg ist. Konny zeigt uns einen 20-Euro-Schein. Von seinem Geld habe er die Kerzen gekauft, neulich, sagt er. Nichts zu trinken, nichts zu essen. Sondern ein letztes Andenken an einen Freund.

Ein milder Herbst – der Kältegang im Oktober

Es ist nimmer so, dass Konny in Melancholie verflogen wäre. Er sieht nach vorne, ist ein insgesamt positiver Mensch, und das will was heißen. Teddy und ich waren noch ein paar Mal bei ihm. Inzwischen hat er sich aber auch etwas für Drinnen gesucht. Guter Mann.

Wilhelmplatz in Nippes © landesblog-nrw-braucht-das.de
Auf dem Wilhelmplatz ist täglich Markt – adé Schlaf 😉

Mit dem Umzug nach Nippes erschlossen sich für mich noch einmal weitere mögliche Routen, insbesondere der Wochenmarkt ist eine gute Quelle für preiswertes, aber qualitativ hochwertiges Obst und Gemüse.

Über die Spendebereitschaft türkischer Geschäftsleute, die in Nippes die Mehrzahl ausmachen, habe ich im Übrigen sehr viel Positives gehört. Die Nächstenliebe ist in ihren Religionen stark verankert, und ein Bekannter, der in der Keupstraße nach Spenden fragte, hat in jedem Laden dort etwas bekommen. In jedem. Ein gutes Pflaster.

Kältegänge im November

It’s men time in November! Vor drei Wochen bin ich wieder in reiner Herrenrunde auf Tour gewesen und habe mit einem der Köche, die abends am Appellhofplatz Essen zubereiten und ausgeben, ein langes Gespräch gehabt. Das heißt, er hat geredet, und ich hab zugehört.

Ray war selber zweimal obdachlos und kennt sowohl das Viertel, in dem er lebt, die Schlafstellen vieler Obdachloser und auch die Szene insgesamt. Vieles von dem, was ich in diesem Artikel eingeflochten habe, hat er mir erzählt. Für die Kältegänge von Wichtigkeit sind zum Beispiel bestimmte Zeiten, zu denen viele Bedürftige nicht auf der Straße anzutreffen sind, Verhaltensregeln gegenüber Obdachlosen und allgemeine Lektionen fürs Leben.

Ich glaube, dass es ein Anders und ein Besser gibt

Ich denke, zu diesem Thema sind weitere Folgeartikel wie zum Schülerprojekt der Kölner Liebfrauenschule über Obdachlose nicht ausgeschlossen. Für heute werde ich aber erst einmal Schluss machen. Ich konnte im Laufe der letzten 11 Monate Dinge lernen und erfahren, zu denen ich 25 Jahre lang keinen direkten Zugang hatte. Ich habe mich über kleine Fortschritte gefreut, musste mich aber oft auch immer wieder in Diskussionen mit besserwisserischen Mitmenschen behaupten.

Aber Leute, da draußen, ich sage das nicht nur, weil bald Weihnachten ist: in mir ist mein unverbesserlicher Optimismus, der noch lange nicht gestorben ist. Und der sagt mir nach all dem, was ich gesehen habe, dass es nicht nur ignorante und eigensinnige Menschen gibt, sondern, dass ein „Anders“, ein „Besser“ im Zusammenleben der Menschen möglich ist. Erst lokal, dann regional, später noch weiträumiger. Ob das Spendengalas wie die meines Lesers Gerstenberg sind oder das Sammeln von Essensresten für Bedürftige durch Backwerk oder vitesca.

Das war es für heute erst einmal. Viele Grüße an euch und macht euch eure Gedanken, bis zum nächsten Mal,

euer Thilo


11 Antworten zu “Die Kölner Kältegänge – ein Porträt”

  1. Hallo Thilo,

    das ist ein sehr beeindruckender Artikel! Hamburg gilt für viele als Ort, wo sie Arbeit finden können und wo es Möglichkeiten gibt. Sie werden oft enttäuscht. Kältegänge haben wir meines Wissens nach nicht. Aber es gibt den MItternachtsbus, der jeden Abend an bestimmten Stellen in der Innenstadt steht und Tee, Kaffee und Brötchen ausgibt. Auch Schlafsäcke oder Decken kann man dort gegen einen kleinen Betrag bekommen.
    Es ist auch richtig, das Einzelschicksal zu betrachten. Nicht jeder, der auf der Straße lebt, ist mittellos. Manche haben sogar eine Wohnung oder ein Zimmer irgendwo. Diese Menschen haben psychische Probleme. Man muss auch damit umgehen lernen, dass manche menschen keine Hilfe wollen. Es ist eben auch Gesetz, dass niemand gegen seinen Willen ins Heim gesperrt werden kann. Auch wenn das auf den ersten Blick die beste Lösung wäre. Gerade ältere Menschen erhalten ziemlich schnell eine Wohnmöglichkeit. Aber ich kenne hier in Hamburg Fälle, wo das einfach nicht angenommen wird, aus welchen Gründen auch immer.
    Naja, das ist ein weites Feld.
    Danke für Deinen Artikel!
    LG Ulrike

    • Danke für deinen Kommentar, Ulrike. Auch Köln ist verführerisch, aber Arbeit und ein Heim gibt es für manche nie. In Köln halten sich Mythen um den hiesigen Kältebus, den es in der Form aber nicht gibt oder zu geben scheint. Man kann eine Nummer anrufen, und dann kommt wohl jemand. Werde bald noch ein PDF hier bereitstellen, mit allen bekannten Anlaufstellen für Hilfe in Köln, wenn es fertig ist. Hoffe, ich werde hier gefunden mit dem Beitrag 🙂 VG Thilo

    • Hallo Thilo
      Meine Töchter und ich werden am 27.November drei Tage in Köln sein.
      Wir sammeln zurzeit kleine Geschenke für Obdachlose.
      Hygiene Artikel, Unterwäsche ……..usw. Jeder kann geben was er kann.
      Wir werden Taschen packen und wollten diese, ohne viele Worte den Menschen geben.
      Haben Sie für uns ein paar Tipps, dass wir nichts falsch machen?
      Um eine Antwort wären wir dankbar.
      Liebe Grüße
      Silvia Unger

      Haben Infos wieviel Taschen wir mindestens mitnehmen sollten?

      • Hallo Silvia,

        schoen dass du das machen willst. Weihnachten „steppt“ ja der Baer in Koeln, und auch die Hilfsbereitschaft der Leute waechst. Meiner Erfahrung nach gibt man Kleiderspenden bei Sammelstellen ab, die die Verteilung besser organisieren koennen als einzelne Privatpersonen. Infos hier: http://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/soziales/obdachlosenhilfe Weihnachtsengel und Elke Huebsch sind zum Beispiel echt tolle Leute.
        Betreffs der anderen Gueter: Taschen oder andere Behaeltnisse sind praktisch, da weiterverwend- und umfunktionierbar. Nur seid nicht enttaeuscht, wenn ihr nicht alle loswerden solltet, da wie gesagt ab dem 1. Advent eine Welle an Geschenken auf die o.f.W.ler zurollt. Je mehr an der richtigen Stelle landet, desto besser, klar, aber eure Gueter sollen ja auch genutzt werde. Zwischen Januar und November gibt es weniger Gebebereitschaft, also kommt gern dann auch oefter bei uns vorbei 😉

  2. Hallo Thilo,
    herzlichen Dank für deinen liebevoll erstellten Artikel. Ich fand ihn beim Stöbern zu Hintergrundinformationen über Hilfen für Obdachlose. Ich bin auch Kölner und werde schon seit je her mit dem Anblick von Obdachlosen in der Kälte konfrontiert. Mein Entschluss in den kalten Jahreszeiten mit einem großen Rucksack herumzulaufen hat sich gefestigt und dein Artikel hat mir schon mal ein paar Selbsterfahrungen erspart.
    Außerdem bin ich froh, dass es Gleichgesinnte gibt (sogar mit einem namen: „Kältegänger“). Das passt…
    Da ich vorwiegend in den (dann dunklen) Abendstunden gehen würde, wäre mir natürlich Gesellschaft lieber. Gibt es eine Stelle, wo man sich trifft? Gibt es Gruppen, denen ich mich anschließen kann? Wo bekomme ich noch mehr Infos? Z.B. Wie viel von was man mitnehmen sollte, was man tun und lassen sollte usw.
    Ich finde es wirklich klasse, was ihr da macht. Respekt.
    Herzliche Grüße
    Harald

    • Hallo Harald!

      Danke für deinen Kommentar. Du kannst gern von der Theorie in die Praxis wechseln bei einem der nächsten Kältegänge. Es gibt mehrere Kältegänger, die übergroße Mehrheit private Gruppen. Die, von der hier die Rede ist, findest du bei Facebook unter https://www.facebook.com/groups/Obdachlosenhilfe.koeln/ und wenn du Facebook nicht hast, kannst du mir unter der Redaktionsemailadresse Kontaktdaten von dir hinterlassen, um dir Bescheid zu geben. Treffpunkt ist je nach Wohnort und Mobilität der jeweiligen Helfer. Viele Grüße Thilo

  3. Hey ,
    Danke für den umfassenden Einblick. Es hat mich genau am richtigen Nerv getroffen. Ich würde sehr gerne mal mitgehen und wollte mich über facebook „Obdachlosenhilfe Köln“ mit euch in Verbindung setzten. Allerdings scheint es eine geschlossene Gruppe zu sein. Warum ist es eine geschlossene Gruppe? Oder habe ich die Falsche? Ich würde mich sehr über Rückmeldung freuen.
    Liebe Grüße, Anna

    • Hallo Anna,

      habe dich gerade aufgenommen. Geschlossene Gruppe, da wir vorher schauen, ob die Leute wirklich aus Köln kommen und nicht nur reine Gruppensammler sind 😉 mit dem Reinlassen kommen wir zeitlich nicht immer sofort nach. Aber nichtsdestominder, auf bald vllt!

  4. Hallo Thilo,

    vielen Dank für den informativen Artikel. Ich würde sehr gerne einmal mit einer Gruppe mitgehen und habe gerade eine Aufnahmeanfrage über Facebook gestellt. Ich freue mich sehr, wenn ihr mich aufnehmt.

    Viele Grüße
    Rebecca

    • Hallo Rebecca,
      danke für dein Interesse. Unsere eigene Gruppe direkt ist etwas eingeschlafen, ich selbst aus privaten Gründen kürzer getreten, dafür sind aber andere Formationen sehr aktiv. Ich kann jedoch keine Empfehlung abgeben für spezifische Facebook-Gruppen, da diese zumeist sehr groß sind und man nicht alle Mitglieder kennen und eine Garantie auf Freundlich- und Verlässlichkeit geben kann. Am besten versuchst du es einmal auf gut Glück!
      Z.B. eine weitere Gruppe: https://www.facebook.com/groups/395643463941762/

  5. Eine wunderbare Reportage, Herr Thilo Götze…vor einiger Zeit wurde übrigens auch in der „Verbotenen Stadt“ eine Benefiz-Vernissage durchgeführt: „Kunst für Obdach – 20 Jahre fiftyfifty“. Das Geld wurde in die Wohnungsbau- und Obdachlosenhilfe gesteckt.

    Auch wenn man es den Bewohnern des (neuerdings in zahlreichen Medien als sechstlebenswertesten Stadt postulierten) Düsseldorfs nicht ansieht – auch hier schlagen Herzen am rechten Fleck.

    Mit Erlaubnis des Webmasters verlinke ich einen Bericht auf dem Top-Magazin.

    Viele Grüße