Abschiedskonzert von Joan Baez in Bad Honnef

Konzertkarten Joan Baez 2019

Sie hat in mittlerweile 78 Jahren so viel erreicht wie andere in drei Leben nicht: Joan Baez. Auf ihrer Abschiedstour 2018/19 kam die Sängerin auch nach Bad Honnef auf die Insel Grafenwerth. Ein einmaliger Coup des Veranstalters, und weil diese Freiluftbühne gerade noch so zu NRW gehört (nebenan beginnt Rheinland-Pfalz), könnt ihr die Highlights dieses Teils von Baez‘ Fare Thee Well Tour auf diesem Blog nachlesen.

Zum Abschied sagte sie „Auf Wiedersehen“ und ging in die Nacht. Der Himmel war schon dunkel geworden, und 3500 Kehlen hatten gerade „Sag mir, wo die Blumen sind“ intoniert. Fast wie bei Hannes Waders Bühnenabschied vor gut einem Jahr. Wader betonte, dass es für ihn kein „Wiedersehen“ gebe (leider), und auch Baez dürften nur noch Inhaber von Tickets ihrer restlichen Konzerte noch einmal sehen.

Der Herrgott wollte jedoch, dass es an diesem epischen Abend nicht regnen wollte. Es hätte nicht gepasst auf diesem Streifzug durch mehr als ein halbes Jahrhundert der internationalen Friedensbewegung, als deren Gewissen Joan Baez insbesondere in den 60er Jahren galt. Insbesondere viele ältere Zuschauer freuten sich, diese lebende Legende noch einmal sehen zu können.

Eine Stimme für die Ungehörten – aktueller denn je

Joan Baez mit ihrem "Sinfonieorchester" Dirk Powell (l.) und Baez' Sohn Gabriel Harris
Joan Baez mit ihrem „Sinfonieorchester“ Dirk Powell (l.) und Baez‘ Sohn Gabriel Harris

Kennern der amerikanischen Musikgeschichte brauche ich die Bedeutung von Joan Baez, Woodstock oder dem Civil Right March nicht näher zu erläutern. Sie brachte die Lieder eines gewissen Bob Dylan (der zur selben Zeit in Hamburg einen Dylan-typischen Auftritt hinlegte) einem breiteren Publikum näher, engagierte sich für die Rechte von Minderheiten und beeindruckte durch ein virtuoses Gitarrenspiel, das laut Dylan „niemand sonst damals beherrschte“.

Und auch heute noch erhebt sie, Kind mexikanischer Immigranten, die Stimme gegen Verfolgung und Schlechterbehandlung von Flüchtlingen, Verfolgten und Minderheiten. Sie nennt dabei nicht die Namen politisch Verantwortlicher, doch insbesondere mit dem Satz „We don’t need walls these days“ dürfte klar sein, auf wen dies zum Beispiel abzielt.

Man kann dazu stehen, wie man will – Joan Baez singt, was sie lebt und fühlt. In gewohnt zurückhaltender, sympathischer und beinahe selbstironischer Art führt sie Jung und Alt durch eine Zeitreise ihrer langen, politischen Musikerinnenkarriere.

Dabei helfen ihr drei andere Begabte ihres Fachs:

- der Multiinstrumentalist Dirk Powell (Klavier, Geige, Banjo, Mandoline, Kontrabass, Leadgitarre und Gesang)
- Baez' Sohn Gabriel Harris (Schlagzeug und Percussions)
- Grace Stumberg (2. Stimme in einigen Liedern)

Insbesondere die Herbeiholung von Dirk Powell zeigt, dass Baez immer noch die Besten um sich weiß auf ihrer letzten Tournee. 20.08 Uhr kommt Baez zunächst allein auf die Bühne und intoniert „Don’t think twice, it’s alright“. Es folgen Lieder wie „It ain’t me, baby“, „Joe Hill“ und „Farewell, Angelina“.

Persönliche Highlights des Joan-Baez-Konzerts

Turn me around

Baez beginnt ihr Konzert wie seit einigen Jahren schon im ärmellosen Top. Ohne Pause (!) zieht sie die 2 Stunden auf dem Grafenwerth durch, wobei ein Viertel der Spielzeit auf Zugaben wie „Imagine“ und „The Boxer“ entfallen. Fast jeder Weggefährte kriegt einen persönlichen Gruß – auch Konstantin Wecker und Mercedes Sosa, mit denen sich Joan Baez in den 80ern „Gracias a la vida“ in die kollektive Erinnerung des deutschen Publikums sang.

Weitere Momente, die wohl keiner der Anwesenden gestern vergessen wird:

  • Joan Baez singt „Der Mond ist aufgegangen“ auf Deutsch – mehr noch als diese sprachliche Leistung beeindruckt der Fakt, dass dies das einzige Lied ist, für das sie den Text ablesen muss
  • Bevor Stumberg und sie gemeinsam „Catch the wind“ aus der Feder von Donovan beginnen, erinnert Joan Baez daran, dass sie dieses Lied früher immer mit ihrer sich im gleichen Maße sozial engagierten, leider schon 2001 an einer seltenen Krankheit vestorbenen Schwester Mimi Farina im Duett gesungen hat
  • Nach jedem Lied wechselt Baez zu einer frisch gestimmten Gitarre – beim Wechsel verliert sie ein Fingerplektrum, das ihr Assistent für sie aufhebt, was sie mit „In my age, I can not bend anymore“ kommentiert
  • Sie tut dies dann aber dennoch vorn am Bühnenrand, als ihr eine Frau (die mit einem Gesicht dorthin schritt, als bedeute ihr das Gelingen der folgenden Aktion alles im Leben) ein persönlich gewidmetes Geschenk nach oben reicht
  • Gabriel Harris‘ Solo auf der Cajon
  • Gebührender Abschluss auf dem Grafenwerth

    Blick auf den Drachenfels, vom Grafenwerth aus

    22 Uhr 10 etwa ist die Show vorbei, Joan Baez verlässt für immer die Bühne. Vom Ambiente und der ehrwürdigen Stimmung her hätte dies auch für das allerletzte Konzert herhalten können. Die einkehrende Kälte, auf so einer Insel mit vorrückender Stunde normal, hat Joan Baez zwar zur Jacke greifen lassen, ihr und dem Rest des Publikums aber ansonsten nichts ausgemacht.

    Viele, die 1968 live erlebt haben, gehen melancholisch aber beschwingt nach Hause. Die heutigen Medien erlauben ein vielfach wiederholtes Abspielen von Musik, ein realer Moment aber kehrt niemals wieder. Es werden weniger Musiker auf der Bühne, mit denen die 68er aufwuchsen. Mittlerweile sind sie weit älter als 68 Jahre.

    Um den Bogen vom Beginn wieder zu spannen, kann man eines jedoch sagen. Ich bediene mich dabei auch nochmal am Besten:

    Sowohl Baez als auch Dylan, Neil Young, Paul Simon und wie sie alle heißen, werden zwar irgendwann nicht mehr da sein. Ihre Werke werden jedoch unabhängig davon weitergesungen werden, in manchen Gegenden vielleicht sogar ohne, dass man den oder die Autorin kennt.

    Hannes Wader hat es sehr schön in einem Interview kurz vor seinem letzten Auftritt zusammengefasst, warum es (zumindest für ihn) keinerlei Grund zur Wehmut gibt, und wahrscheinlich auch nicht für Joan Baez. Es hängt mit der Selbstverständlichkeit zusammen, mit der die Menschen rund um den Globus „We shall overcome“ oder „Heute hier, morgen dort“ anstimmen. Es sind einfach die Hymnen von Generationen, und diese verschwinden nicht mit ihren SängerInnen.

    Meine Lieder sind inzwischen allein in der Welt. Meine Lieder brauchen mich nicht mehr.

    Hannes Wader, stellvertretend für die Singer&Songwriter seiner Generation

    Schöne Links zum Weiterlesen zu Joan Baez

    • Interview 2018 mit Joan Baez zu ihrer Abschiedstournee, ihren Verhältnissen zu Steve Jobs und Bob Dylan sowie die Vergänglichkeit der Zeit (SPIEGEL)
    • Bericht des Generalanzeigers zum gestrigen Konzert
    • Lebensleistung von Joan Baez‘ Schwester Mimi, gewürdigt auf folker.de
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