Bis vor kurzem wusste ich nicht, was Fronleichnam eigentlich bedeutet. Im Prinzip ist es mir immer noch schnuppe, aber es ermöglichte mir einen freien Donnerstag, den ich im schönen Krefeld gar verbrachte. Dort gibt es immerhin noch vier Straßenbahnen (im Zuge des 20. Jahrhunderts etwas zusammengeschrumpft), und längs der Gleise von Linie 044 vom Hauptbahnhof bis Rheinhafen (7,2 Kilometer) hättet ihr mich vor rund zwei Wochen gefunden. Habt ihr aber nicht, drum erzähl ich’s euch!
NRW ist voller alter Schätze
Das Ruhrgebiet an sich bewahrt ja für allerlei Hobby- und vor allem Industriearchäologen bedeutsame Schätze auf. Wahre Heerschaften von Interessierten erkunden:
- stillgelegte Gleise und Bahnschwellen,
- erkunden alte Fabriken,
- Brücken,
- Flugplätze
- oder klettern marode Türme hinauf.
Das Land NRW ist durch seine polyzentrische Verdichtung reich an solchen Relikten. Da Städte wie Duisburg und Mülheim an der Ruhr oder auch Krefeld und Düsseldorf derart eng beieinander liegen, haben auch die öffentlichen Verkehrsnetze einige (historische) Berührungspunkte und Verbindungen.
Gleichwohl steht die nordrhein-westfälische Infrastruktur seit jeher immense Veränderungen durch bzw. muss sehen, wie alte Strukturen möglichst lang aufrechterhalten werden. Und davon erzählt dieser Artikel…
….nicht. Denn ich kann und will euch nur einmal zeigen, wie ich mich an einem wunderschönen Sonnentag auf der Spur der Straßenbahn 044 und ihrer Nebengleise gemacht habe!
Ecke Oppumer Straße / Glockenspitz – bin ich im Film?
Morgens 9 Uhr 30 in Krefeld. Die Sonnenstrahlen bahnen sich ungehindert den Weg auf das Pflaster vorm Hauptbahnhof (oben). Gleich kommt die Linie 044 angeheizt, um einen Zwischenhalt einzulegen. Noch könnte ich einsteigen und die Schulden der klammen Stadtkasse zu stunden helfen.
Mache ich aber nicht, ist ein viel zu schönes Wetter. Ich werde den Gleisen (und später auch den Schwellen) einfach hinterhergehen. Es gibt niemanden, der hier im Weg stünde.
Ich gehe eine Weile an den Gleisen der 044 entlang Richtung Osten. Unter uns fährt, an diesem Tage ebenfalls nur alle halbe Stunde, die einzige U-Bahn der Stadt, die U76 von Düsseldorf, entlang. An der Ecke Oppumer Straße / Glockenspitz schaue ich nach links in die Mündung der Straße – und denk, ich bin im Film.
Hier war mal ein Streckenabschnitt, wahrscheinlich führte er zu den Gleisen der Regionalzüge, die weiter die Straße runter im 90°-Winkel dazu verlaufen. Die Stelle erinnert mich an eine Passage einer Doku über den Kollaps im ÖPNV in NRW. Ist nicht dieselbe, die Geschichte hat aber Ähnlichkeit hiermit. Link findet ihr wie immer ganz unten, auf Youtube.
Streckenverlauf der Straßenbahnlinie 044 in Krefeld
Damit ihr den (Spazier)fahrtverlauf nachverfolgen oder an eine bestimmte Stelle springen könnt, sei euch eine Art Inhaltsverzeichnis mit jeweiligen Fahrtminuten an die Hand gegeben.
Krefeld Hauptbahnhof :00
Voltastraße :06
Bahnstraße :07
Florastraße :08
Großmarkt :10
Glockenspitz :11
Botanischer Garten :12
Sandberg :14
Buddestraße :15
Glindholzstraße :16
Rembertstraße :17
Linn Bahnhof :19
Burg Linn :20
Danziger Platz :21
Am Steinacker :22
Westpreußenstraße :23
Rheinhafen, Krefeld :24
Beim Krefelder Schachclub Turm 1851 im Botanischen Garten
Am Botanischen Garten angekommen, beginnt nun der idyllische Teil der Reise! Zugegeben, hier wollte ich ursprünglich hin. Nach meinem Besuch des Turniers vom Godesberger Schachklub vorigen Monat wollte ich auch bei dem des Krefelder Schachclubs Turm 1851 vorbeischauen. Allerdings wurde der Tag während der Anfahrt doch zu schön.
Die Krefelder haben es sich dennoch gemütlich eingerichtet im Spiellokal. Mitten im Grünen gelegen, mit Platz für 120 Leute und einen eigenen Garten, in dem gegrillt wurde mittags, lässt es sich aushalten.
Die Straße, auf der neben dem Schönwasserpark die Gleise der 044 verlaufen, ist die Kuhleshütte. Von dort hinten führt ein altes, totes Gleis entlang und wird uns von nun an eine ganze Weile neben dem Hauptgleis begleiten. Blick in Richtung Rheinhafen, hinter mir das Bild von oben, ist diese Perspektive:
Und da kommt sie mir gerade entgegen, die Bahn. Ich werde noch mehrmals, alle 30 Minuten wie man weiß, die Gelegenheit haben, bis zum Rheinhafen ein Stück mitzufahren. Kurzstrecke 4 Stationen (da träumt man von andernorts). Aber ich widerstehe. Ob ich da drinnen oder hier draußen von den über 28 Grad Celsius gegrillt werde, ist gleich.
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Wie man ein Gleis vergessen machen will
In Höhe der Station Sandberg werden einige Bestrebungen sichtbar, das größerspurige Gleis neben der Linie 044 verschwinden zu lassen. Manche, wie das Überteeren und Zubetonieren, sind Artefakte, andere wie das Überwuchern durch Pflanzen vermutlich dann doch natürlicher Art.
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Ab kurz nach der Haltestelle Buddestraße verfügt die Bahn über einen eigenen Gleiskörper. Nachdem die L386 überquert worden ist, hindert kein anderer Verkehrsteilnehmer die Linie 044 mehr an der Weiterfahrt. Auch die Fußgänger, Skater und Radfahrer nutzen diesen Vorteil (an Fronleichnam mehrheitlich nur Rollatorfahrer).
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An der Haltestelle Glindholzstraße lädt eine Art Häuschen zum Verweilen ein. Ein schattiges Plätzchen. Hier sagen sich wirklich Fuchs und Hase Guten Tag. Der Weg neben den Gleisen verläuft übrigens ab jetzt wieder links davon – das wechselt auch noch einige Male. Das tote Gleis ist an dieser Stelle so zugewachsen wie nirgendwo sonst.
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Totes Gleis kreuzt Straßenbahngleis im 90-Grad-Winkel
Zwischen Glindholz- und Rembertstraße verabschiedet sich der stille Nachbar, das nun wahrscheinlich berühmteste tote Gleis Krefelds, in einer Rechtsneigung Richtung Crönpark. Wir folgen weiter der Linie 044.
Die Haltestelle Rembertstraße bewahrt anschließend eine sonderbare Überraschung für uns auf. So langsam kriechen wir aus der waldähnlichen Gegend, flankiert mit vielen Einfamilienhäusern des vornehmen Stadtteils Oppum-Linn, wieder hervor in städtischere Gegenden und sehen das:
Kurz nach der Haltestelle hier muss es einmal eine wahrhaftige Gleiskreuzung gegeben haben! Wir sehen noch ein totes Gleis, das seinen noch aktiven Nachbarn berührt, aber nicht so, dass es sich daran langsam angeschmiegt hätte, wie bei einer Weiche. Nein, direkt im 90-Grad-Winkel!
Kaum zu fassen – aber doch reell. Die Fahrrinne des noch befahrenen Gleises ist lückenlos. Aber vermutlich waren die Rinnen an der Stelle, an der sich dieses zweite Gleis und das noch benutzte trafen, wie ein Plus geformt, sodass beide auf dem Eisen blieben.
Oder war die Stadt nicht willens, das tote Gleis einst zu demontieren, um dem neuen Gleis Platz zu schaffen, sodass man es kreuzte? Wer weiß das schon…aber ich glaube, dafür leben (ich bin keiner) die Eisenbahnarchäologen. So etwas ist Gesprächsstoff noch für Wochen 🙂
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„Wo geht’s denn hier nach Uerdingen?“
Wie gesagt, so langsam sehe ich wieder mehr Asphalt vor den Augen. Nach der Rembertstraße unterquert das Gleis auf einer Landstraße die A57, ich muss einen Tunnel passieren. Aus dem kommt plötzlich ein gemütlicher Feiertagsradler gecruist, der seine Bierflasche schon halb geleert hat.
„Wo geht’s denn hier nach Uerdingen?“
Fragt er gut gelaunt. Die Radtour ist wohl noch nicht vorbei. Ich wusste bis zu diesem Tage nicht, dass Uerdingen ein Teil von Krefeld ist, und unmittelbar in der Nähe liegt. Ja, ich bewege mich sogar direkt in die Richtung von Uerdingen, dem ehemaligen Fußball-Bundesligisten. Dem „Radler“ (Wortspiel) musste ich die Antwort aber zu diesem Zeitpunkt schuldig bleiben.
Wie schön ist bloß Krefeld (Linn)…
Herzlich willkommen im Historischen Stadtkern Krefelds! Dies ist die Station Linn Bahnhof, und der zugehörige Stadtteil Linn beherbergt eine wunderschöne Architektur, kleine Gässchen und natürlich die Burg Linn.
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Es stimmt anscheinend, was man sagt. Die Krefelder Innenstadt ist nicht das fancy Zentrum, wie man es von anderen Stadtzentern kennt. Es sind eher periphere Stadtteile, bzw. nicht eher, sondern ausschließlich. Ab dieser Haltestelle, Burg Linn, gibt es auch wieder ein elektronisches Display für die Fahrtenanzeige.
Auch führt der Weg von der Wiese gegenüber der Burg in eine Art Schrebergarten, in der reiche Krefelder ihr Wochenende genießen. Wenngleich ich durch so manchen Gartenzaun zu lauschen mitbekomme, dass Nachbar X oder Y das lange Wochenende lieber wie immer in die Niederlande gefahren sind.
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Vorsicht, ab dem Danziger Platz kann man aufsitzen
Ja, mehr braucht man eigentlich gar nicht zu sagen. Bis zum Rheinauhafen kann man jetzt eigentlich durchfahren, es kommt auf der Hafenstraße, wo wir uns jetzt befinden, nicht mehr allzu Interessantes. Von den über 200.000 Einwohnern Krefelds haben sich hier nicht allzu viele versteckt.
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Der Form halber seien aber noch die Stationen
…Westpreußenstraße genannt.
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Am Rheinhafen in Krefeld
Ich sehe schon von weitem, wie die Linie 044 einen Kringel dreht. Klar, sie biegt auf die Wendeschleife ein. Im Hintergrund erhebt sich der Rheinhafen (es gibt auch schönere Teile davon, aber gut). Insgesamt ist es ein schönes Panorama. Links geht es übrigens nach Uerdingen 😉
Ich gehe später noch einmal um „meine“ Bahn herum und studiere die Fahrpreise. Der Fahrer döst auf dem Sitz. Zwischen Rembertstraße und hier ist genau 1 Fahrgast mitgefahren, hatte ich von draußen gesehen. Eine Geisterbahn fahren mitten am Fronleichnam…eigentlich kann es etwas Schöneres geben. Wie mein Trip zum Beispiel!
Wenn ihr nächsten Fronleichnam noch nichts mit euch anzufangen wisst, empfehle ich diese Strecke einmal mit dem Rad zu befahren. Einen Zwischenstopp in der historischen Stadtmitte Krefelds gleichermaßen.
- Zu Fuß benötigt man 1,5 Stunden, was vielleicht zu lang dauert,
- mit der Linie 044 nur 24 Minuten, was eventuell zu rasch geht.
Aber ganz gleich, wie ihr euch fortbewegt und wo immer ihr Rast haltet, ich wünsche wieder mal alles Gute und bis nächstes Mal,
euer Thilo
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Weiterführend zu Toten Gleisen und anderen Verkehrsrelikten
- Liste von stillgelegten Bahnstrecken in NRW bei Wikipedia
- Ein ganzes Arsenal an Seiten zum öffentlichen Erbe zu Lande, zu Wasser und in der Luft (privat)
- Stillgelegte S-Bahn-Gleise in Berlin
- Krefelder Büroeinrichter und Bekannte, passte ganz gut zum Thema Rheinhafen
2 Antworten zu “Tote Gleise kreuzen die Linie 044 in Krefeld”
Ich bin in Oppum in den 60er Jahren aufgewachsen.
Das tote Gleis war mal eine Industriebahn, die den Rheinhafen, sowie verschiedene große Unternehmen anfuhr und die Waggons abholte oder anlieferte. Das Gleis kam vom ehemaligen Verschubbahnhof in Krefeld. Die dazugehörige Lok, wir nannten sie als Kinder “ Bimmelbahn “ fährt heute noch. Sie ist einer der Loks der Krefelder Museumsbahn “ Schluff „.
Hallo lieber Leser,
danke für Ihren Beitrag. Das ist außerordentlich interessant, die Lok muss ich mir bei Gelegenheit einmal ansehen…vg Thilo Götze